16. Marienberger Klausurgespräche

Zur Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftsvertrages für eine solidarische Kultur der Beteiligung und Einbindung

16. Marienberger Kulturgespräche, 24.–26. März 2011

Die Marienberger Klausurgspräche 2011 kreisen um die Bedingungen eines neuen solidarischen Gesellschaftsvertrages, wozu wesentlich das allgemeine Verfügungsrecht über die Gemeingüter, generell verständliche und nachvollziehbare politische Langzeitstrategien sowie entsprechende Perspektiven gesellschaftlicher Entwicklung oder der Umgang mit unseren prägenden Wirtschafts- und Lebensweisen gehören. Nicht zuletzt ist die Selbsterkenntnis gefordert, dass wir, Zwischenträger vieler Traditionsstränge, nicht nur zukunftsoffen Suchende, sondern selbst herkünftig Teil vieler Teile sind, so auch einer jüngeren, industriell geprägten knapp 200-jährigen Fortschrittsgläubigkeit, die wachstumsfokussiert allmählich an ihre Grenzen stößt, wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich.

„Gemeingüter sind verlässlich“, schreibt Silke Helfrich, die erste Klausurreferentin. „Das unterscheidet sie von den (Finanz-) Märkten. So wichtig und richtig Forderungen nach staatlicher Regulierung prinzipiell sind – es geht nicht nur um Staat oder Markt. In der gegenwärtigen Neujustierung der Kräfteverhältnisse zwischen den Akteuren muss ein grundsätzlich neues Gleichgewicht zwischen einer lebendigen Bürgergesellschaft, dem Markt und dem Staat erstritten werden. Diese demokratische Dimension wird allzu häufig in den aktuellen Diskussionen vergessen. Ob in den Kämpfen um Wasser, um freie Kultur oder um den Schutz der Atmosphäre – es besteht die Gefahr, dass die Allgemeinheit die Verfügungsrechte über die gesellschaftlichen Reichtümer preisgibt.“

Der zweite Augenöffner zur Erkundung von Bausteinen – und Partner – für einen zukunftsfähigen Solidarvertrag in so instabiler wie wandlungsbestimmter Zeit ist mit der Risiko- und Gerechtigkeitsfrage, „also der Frage nach Verantwortung, der starken und schwachen Schultern, nach der Beteiligung aller“ sowie deren Voraussetzungen und Rahmen gegeben. „Worauf es in Zukunft ankommt, ist nicht die Vollkaskoversicherung, sondern sind robuste Grundsicherungen, die verhindern, dass Risiken in Marginalisierung und Mutlosigkeit umschlagen“, wie Steffen Mau, der zweite Tagungsreferent befindet. Wie kann der wachsenden Verunsicherung immer breiterer Bevölkerungsgruppen begegnet werden? Lässt sich Unsicherheitstoleranz kollektiv erlernen? Welchen Risiken muss Politik – und wie begegnen? Wo mit der Perspektivenarbeit und Bürgereinbindung? Wenn es darum geht, eine richtige Umbaustrategie zur Entwicklung neuer gesellschaftlicher Solidarperspektiven in unsicheren Zeiten zu entwickeln, auch den Schwachen und Bedürftigen, den Gescheiterten und Bedrängten neue Lebenschancen anzubieten, dann sind alle gefragt: Unternehmer ebenso wie politische Vertreter, Bildungsexperten nicht weniger als Ärzte, Kommunen gleich den sozialen Verbänden. „Wer sich hier wegduckt, erntet eine verunsicherte Gesellschaft. Arm an Vertrauen in andere und arm an Vertrauen in sich selbst“ (Steffen Mau).

Die Wirtschafts- und Lebensweise der westlichen Industrie- und Konsumgesellschaften führen heute nicht nur zur Gefährdung der durch sie erreichten hohen materiellen Wohlstandsmehrung, sie gefährden unsere Gesellschaft selbst, überfordern ihre Systeme und Menschen ebenso wie sie die Natur und Umwelt existenziell bedrohen, so Meinhard Miegel in seinem 2010 erschienen Buch EXIT. Wohlstand ohne Wachstum. Da gegenwärtig wie selbstverständlich jede Entwicklung (also auch die einer solidarischen Gesellschaft wie sie der Tagungstitel der 16. Klausurgespräche impliziert) von Politik und Wirtschaft alternativlos an Wirtschaftswachstum geknüpft wird, stellt sich unabweisbar die Frage: was dann, wenn Wachstum nicht mehr möglich sein sollte? Oder jedenfalls nicht mehr in dem uns bekannten Maße. Was, wenn die Zermürbung und Überforderung weiter Bevölkerungsteile, wenn Ressourcenverzehr und Umweltverbrauch, wenn Staats-, Unternehmens- und private Haushaltsschulden keine Fehlentwicklung unserer industriell geprägten Daseinsform sind, sondern vielmehr deren immanente Folgen? Fakt ist, dass wir gegenwärtig ebenso vom Raubbau wie der Vergeudung der geerbten Ressourcen leben, unser Erbe verprassen. Das gilt für den Energiekonsum, wie die Verschmutzung der Luft, den Wasserkonsum ebenso wie den Bodenverbrauch oder die Rohstoffvernichtung. Damit ist künftig weder Staat zu machen noch Rente zu beziehen, können weder Produktivitätsfortschritt noch Qualifikationsniveaus finanziert werden. Mehr vom Gleichen, noch mehr Wachstum, kann dies angesichts solcher Befunde die Lösung sein, wie gewichtige Stimmen aus Wirtschaft und Politik weiterhin vorgeben? Wie es dem erworbenen Empfinden, unseren tief eingeschliffenen Antriebskräften und Verhaltensweisen entspricht?

Sollen unsere Anstrengungen zur Entwicklung zukunftsfähiger solidarischer Gesellschaftsformen indes nicht bloße sozialromantische Phantasmagorien bleiben, ist die Frage nach der Belastbarkeit von Luft, Wasser, Boden und Mensch eine ihr zugrunde liegende. Wachstumskritik ist nichts Neues. Neu ist eher, dass sie allmählich gesellschaftsfähig wird und immer mehr Menschen spüren, dass die bisherige Entwicklung nicht mehr rund läuft. Sozialwissenschaftler und kritische Ökonomen zeigen auf, dass „ab einem gewissen Niveau weiteres Wirtschaftswachstum die Probleme nicht löst, die es vorgibt zu lösen. Beispiele: Das Wachstum hat global weder Hunger noch Armut noch Arbeitslosigkeit beseitigt. Den Industriestaaten bringt weiteres Wachstum kaum noch zusätzlichen Wohlstand, auch nicht mehr Glück, dafür mehr Stress und weniger Lebensqualität. Weiteres Wachstum ist auch nicht das richtige Rezept, um die Gesundheit zu mehren oder Renten zu sichern. Vor allem aber: Stetiges Wachstum auf einem begrenzten Raum lässt sich auf Dauer nicht durchhalten.“ Diese Thesen haben Urs Gasche und Hanspeter Guggenbühl, unser dritter Referent, 2004 in ihrem Buch „Das Geschwätz vom Wachstum“ begründet vertreten. Was zu tun bleibt, ist beileibe kein Spaziergang. Er führt von der Wachstums- in die Gleichgewichtsgesellschaft, die auf den bislang gewohnten materiellen Wohlstandswachstum zu verzichten gelernt hat. Aber je länger wir das Wachstum mittels Subventionen fördern, desto schwieriger wird dieser Ausweg, der unter anderem lautet: „Abkehr von der Gratisnutzung der Natur; Abbau von wachstumsfördernden Subventionen; Zurückstutzung des von der Realwirtschaft abgekoppelten Kapitalmarkts; Reduktion von wachstumsfördernden Mengenrabatten und generell die vermehrte Durchsetzung des Verursacherprinzips“ (Hanspeter Guggenbühl).

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