14. Marienberger Klausurgespräche

Von der Kunst und dem Vermögen des aufrichtigen Denkens in scheinheiliger Zeit

14. Marienberger Klausurgespräche, 26.–28. März 2009

2009 – das Thema scheint vorgegeben. Wo sich, unschwer vorzustellen, nicht wenige unkritisch der letzten 200 Jahren erinnernd vergewissern wollen, gehen die Marienberger Klausurgespräche, traditionell dem Anspruch des „Sapere aude“ verpflichtet, der aufklärerischen Pflicht, sich des eigenen Vernunftvermögens zu bedienen, den Fragen nach, wie Helden entstehen; welche wir, wenn überhaupt, brauchen; wie diese sich im Guten und Schlechten auf Heimat, in der wir leben wollen, beziehen; was den Verrat an dieser und jenen ausmacht.

Das Gedenkjahr zu den Tiroler Freiheitskämpfen, die, einem Gebirge gleich, so manchen Durchzug bis heute folgenreich verhindert haben, bietet die Gelegenheit, hier wider den Strich zu bürsten – indem wir versuchen, das spannungsvolle Kräftefeld des Widerstreits von Helden und Antihelden, Alltagshelden, ganz und gar unheroischen Mustern, Frauen und Männern, auszumessen, darin wir leben: unsere innere und äußere Heimat.

2009 bietet die Folie an, auf der wir uns grundsätzlich im Dreischritt Helden-Heimat-Verrat zu einigen zentralen Wirkmächten, gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen und individuellen Modi der Lebensführung verständigen können. Er dient der Orientierung in kritischer Zeit.

Bei Alexander Kluge konnten wir lesen, wir wären Glückskinder aus der ersten Globalisierung im weltumspannenden Frost alter Erdentage. Hätten diesen überlebt vor 630 Millionen Jahren, vorzeitlich und keimgeschützt im Eis – überwintert also, zu besseren Zeiten hin. Als solche bestünden wir bis heute fort: Hoffnungsträger, deren Glücksreservoir bei jeder Geburt neu sich füllt. Und immer wieder. Auch im Abstieg und Fortschritt der gegenwärtigen x-ten Globalisierung und ihrer weltweiten Verwerfungen.
Aufgespannt zwischen den Jahrmillionen vorher und den Augenblicken im gelebten Jetzt, entfaltet in unseren körpereigenen Parallelwelten, sind wir – einzeln wie im Kollektiv – umgeben und bedrängt, gestoßen und getragen von den Kollektiven unserer Vorfahren und Vorvergangenen, die uns vorangegangen sind. Einzelne aus ihrer Schar, die bald mythisch, bald legendenhaft, als sagenhafte Scherenschnitte und in körperopulenter Heldengröße das Gegenwartsdenken und –handeln mit bedingen, begleiten uns als Heldenschatz, Mythenrepertoire und Identifikationsfundus von Kindheit an in wechselnder Besetzung. Zumeist männlich besetzt durch die schrift- und bildgebundene Überlieferung, weiblich dominant hingegen in der alltagskulturellen Zurüstung. Unauffälliger hier, bestimmter dort. Was auch meint: als Boden und Kulisse, darin erstere ihre maskulinen Kräfte erprobten oder solche erlitten.
Wo von Helden die Rede ist, schwingt unausgesprochen stets sein weibliches Pendant mit, ohne das er nicht wäre, und sei es als Natur. Erst gegen sie wird er, was er ist – und verliert er, was er hatte.

Helden, das klingt noch immer nach Mann, und ist ohne Frau nicht denkbar. Gleich dem Anti-Helden, der ihn als treuer Widergänger lebensprall begleitet. Wie sich die Geschlechter im Heldischen mischen, oder das zögerlich Zaudernde noch den entschiedenen Gestus des entschlossen Zupackenden färbt, ist ebenso fragwürdig wie die (massenmediale) Konstruktion von Leitfiguren, die wir angeblich zu unserem Fortkommen brauchen. Südtirol ist auch damit reichlich gesegnet.
Eine weitere, scheidende Folie des Kontrasts: kaum ein Volk, das sich vom Verrat so betroffen fühlt(e), wie das deutschsprachige Südtirols; und kaum eines, das selbst die Heimat so im Stich ließ. Im „Disagio“ der italienischsprachigen Bevölkerung lassen sich Anklänge hierzu feststellen. Mag sein, dass erst die Migrant/innen, die ihre Heimat verlassen haben, uns mit ihren Alltagsgeschichten und ihrem mythischen Personal einen Ausweg zum Besseren zeigen können, wie sie es nach unserer eigenen Erinnerung im Sagenkreis der ladinischen Dolomitensagen kunstvoll schon einmal bewiesen haben. 
Daher die Frage: Welche Helden braucht Heimat?
Doch nicht nur die Funktion des Heldischen, auch seine Konstruktion will bedacht werden. Wie werden im Zeitalter der massenmedialen Leitbildproduktion „Helden“ gemacht? Wie gemeinden wir sie ein? Wie grenzen wir andere aus?
Was macht Anna Hofer heute? Und Lukas Raffl?
Fragen, die unser Verhältnis zu uns und unserer Heimat direkt bestimmen. Orientierungsfragen über 2009 hinaus.

Hier das Programm.